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Kommerzialisierung des Pflegesektors: Auswirkungen, Strukturen, Qualität

Bis vor wenigen Jahrzehnten lag die Pflege älterer Menschen traditionell in der Hand der Familien – beziehungsweise in der Hand von Frauen, die ihre Partner*innen, Eltern, Schwiegereltern pflegten. War das nicht möglich, übernahmen karitative Verbände, kirchliche Träger oder die Kommunen die Aufgabe. Gesellschaftliche Veränderungen – der demographische Wandel mit einem größeren Anteil älterer und hochaltriger Menschen an der Bevölkerung auf der einen Seite und Veränderungen des Geschlechterverhältnisses mit einer Zunahme erwerbstätiger Frauen auf der anderen Seite – hatten zur Folge, dass auch die stationäre Pflege zunehmend eine Rolle spielte. Rund ein Fünftel aller pflegebedürftigen Menschen in Deutschland lebt heute in Pflegeheimen; vier Fünftel werden zuhause versorgt, oft durch pflegende Angehörige mit Unterstützung eines ambulanten Pflegedienstes.

Mit der Einführung der Pflegeversicherung 1995 ist der Pflegebereich für private Unternehmen geöffnet worden. Während zunächst private Pflegeheime meist als eigentümergeführte Einrichtungen hinzukamen, entdeckten seit einigen Jahren Unternehmen und Anleger die Möglichkeiten auf dem Markt. International tätige Konzerne vermuteten in der Pflege ein lukratives und krisensicheres Geschäft. Es gibt auf dem Pflegemarkt nun multinationale Pflegekonzerne, die zunächst in einem europäischen Land als kleines Unternehmen starten und dann mehr und mehr Einrichtungen auch in anderen Ländern aufkaufen. Daneben gibt es noch Private-Equity-Fonds, denen es maßgeblich um Renditen und Gewinne geht. Hier werden Einrichtungen aufgekauft und dann nach einigen Jahren mit möglichst großem Profit wieder abstoßen. Auch als Immobilie sind Pflegeeinrichtungen begehrt, da sie ein zukunftssicheres Investment mit vergleichsweise hohen Renditen darstellen. Es sind professionelle Anleger wie Fonds, Versicherungen und Private-Equity-Firmen aus dem In- und Ausland, die investieren.

Auch im Land Bremen sind derzeit von den knapp 90 stationären Altenpflegeeinrichtungen 32 Einrichtungen mit 2.740 Plätzen den größten privaten Pflegeheimbetreibern zuzuordnen.2019 waren laut einer Auswertung des Weser-Kuriers (vom 12.12.2021) in Bremen 54 Prozent der vollstationären Plätze in privater Hand, ein Drittel davon waren Plätze in Einrichtungen international agierender Konzerne.

Die Renditen und Gewinne der Unternehmen müssen erwirtschaftet werden, und es gibt Anzeichen dafür, dass dies auch häufig im Bereich des Personaleinsatzes geschieht. In den Bremischen privaten (oft internationalen Konzernen angehörenden) Einrichtungen bestehen möglicherweise überdurchschnittlich häufig personelle Unterversorgungen sowie strukturelle Mängel durch eine mangelnde Qualitätssicherung in den Einrichtungen. Gewerbliche Einrichtungen arbeiten häufig mit einer hohen Quote an Zeit- und Leiharbeit, es wird eine fehlende Nachhaltung der Pflegequalität festgestellt, ebenso wie fehlende Schulungen oder mangelnde Dokumentationen. Auch wechselt das Personal vergleichsweise häufig, was immer wieder zu Phasen mit einem Mangel an Personal führt, der sich vor allem dort auswirkt, wo Pflegebedürftige besonders abhängig sind. Die Profitorientierung kann aber auch auf Kosten des Pflegepersonals gehen, welches unter diesen Umständen an die Grenzen der Belastbarkeit, physisch wie auch psychisch, gebracht wird. In Zeiten des Fachkräftemangels, aber auch angesichts einer grundsätzlichen Sozialstaatsdebatte steht infrage, inwieweit besondere Modelle der  Kommerzialisierung des Pflegesektors tragfähig sind im Hinblick auf  die zu Pflegenden, die Pflegenden und ob sie den Beitragszahlenden die bestmöglichen Rahmenbedingungen bieten.