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Anwendung von nicht-invasiven Pränataltests (NIPT)

Unterlagen und ein Stethoskop

Eine erwünschte Schwangerschaft ist ein wundervolles Ereignis. Doch mit der guten Nachricht werden gleichzeitig oft auch Sorgen, vor allem bei der schwangeren Person geweckt. Schaffe ich das alles, wird alles gut gehen? Was, wenn das Kind nicht gesund ist oder eine Behinderung hat? Wie käme ich, wie käme mein Umfeld damit klar?

Um bereits vor der Geburt mögliche Krankheiten oder Behinderungen des Kindes zu identifizieren, bestehen derzeit verschiedene Möglichkeiten der vorgeburtlichen Vorsorgeuntersuchung. Neben bekannten und akzeptierten Untersuchungen wie zum Beispiel der Ultraschalluntersuchung, die teilweise als Individuelle Gesundheitsleistung (IGel) mit Zuzahlungen verbunden ist, ist neben invasiver Pränataldiagnostik auch ein sogenannter nicht-invasiver Pränataltest (NIPT) auf Chromosomen-Abweichungen möglich. Mit ihm kann mittels einer Blutprobe das Risiko für Trisomie 13 und 18 und Trisomie 21, letzteres auch bekannt als Down-Syndrom, bereits früh in der Schwangerschaft bestimmt werden. Im Juli 2022 ist der NIPT durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) als Kassenleistung zugelassen worden.

Voraussetzung für die Kostenübernahme des Tests durch die Krankenkassen ist, dass Schwangere gemeinsam mit ihrer Gynäkologin oder ihrem Gynäkologen zur Überzeugung kommen, dass der Test in ihrer persönlichen Situation notwendig ist. Allerdings bemängelt u.A. der Berufsverband niedergelassener Pränatalmediziner e.V. eine unzureichende Informationsgrundlage in der Mutterschaftsrichtlinie für Ärzt:innen und in der Versicherteninformation zur Pränataldiagnostik für Schwangere. In der Konsequenz besteht somit zum einen Unsicherheit darüber, wann der Test zur Anwendung kommen sollte. Darin begründet sich die Sorge, dass Gynäkolog:innen den Test eher zu oft als zu selten empfehlen, um sich rechtlich abzusichern.

Zum anderen besteht Unsicherheit darüber, inwieweit die Aussagekraft des Testergebnisses bezüglich des tatsächlichen Vorliegens einer Trisomie in der Praxis richtig verstanden wird. Beim NIPT handelt es sich um ein Suchverfahren und nicht um ein Diagnoseverfahren. Das Ergebnis des NIPT ist eine Wahrscheinlichkeitsangabe, keine gesicherte Diagnose. Ist das Ergebnis negativ, kann eine Trisomie mit großer Sicherheit (über 99 Prozent) ausgeschlossen werden. Aber gerade bei jüngeren Schwangeren tritt die Option eines falsch-positiven Testergebnisses häufiger auf und bedarf einer zusätzlichen diagnostischen Abklärung. Da der NIPT von den Hersteller:innen jedoch als sicher beworben wird, ist zu befürchten, dass Schwangere und werdende Eltern ein auffälliges Ergebnis bereits als Diagnose über ihr werdendes Kind verstehen und einen Schwangerschaftsabbruch im Rahmen der Fristenregelung erwägen.

In Bremen haben der Landesbehindertenbeauftragte, die Zentralstelle für die Verwirklichung der Gleichberechtigung der Frau und der „Bremer Weg“, ein Netzwerk aus Fachärzt:innen, Schwangerenberatungsstellen und Kliniken, die Einführung des NIPT als Kassenleistung fachkritisch verfolgt und vorläufige Beobachtungen zusammengetragen. Demnach konnten sie in Bremen u.A. eine Zunahme von risikoreicheren invasiven pränataldiagnostischen Untersuchungen zur Abklärung eines positiven NIPT-Befunds und eine 30 Prozent Quote von falsch-positiven NIPT-Befunden feststellen. Zudem beobachten sie, dass der NIPT neuerdings im Alltag der Schwangerenberatungsstellen eine größere Rolle spielt, da er Auslöser für einen Beratungswunsch bzw. die Erlangung eines Beratungsscheins ist. Angesicht dieser von ihnen als „erschreckend“ bewerteten vorläufigen Beobachtungen und Zahlen sehen sie dringenden Handlungsbedarf auf der Bundesebene.

In Nachbarländern, in denen der NIPT bereits länger als Kassenleistung zugelassen ist, kommen bereits deutlich weniger Kinder mit Trisomie 21 zur Welt als statistisch erwartet. Medizinische Verbände und Fachgesellschaften, Hebammen-, Wohlfahrts-, Beratungs- und Behindertenverbände sowie kirchliche Institutionen teilen daher die Sorge, dass langfristig die Stigmatisierung von Familien mit Kindern mit Trisomie 21 zunehmen und Unterstützungsangebote reduziert werden könnten. Es lässt sich daher befürchten, dass Schwangere unabhängig von einer medizinischen Relevanz immer stärker gesellschaftlich unter Druck geraten könnten, den NIPT durchführen zu lassen bis hin zu dem Punkt, da er einer faktischen Reihenuntersuchung, vorrangig auf Trisomie 21, gleichkommt.

Es bedarf dringend einer begleitenden Evaluation der Kassenzulassung des NIPT, insbesondere im Hinblick auf die Anwendung in der Praxis, die begleitende Beratung und die Folgen der Anwendung. Zudem bedarf es einer breiten gesellschaftlichen und politischen Aufmerksamkeit und Auseinandersetzung mit dem Thema. Die Kassenzulassung des NIPT ist auf der Grundlage medizin-technischer Daten erfolgt. Ein Thema von solcher Tragweite bedarf aber einer breiten gesellschaftlichen und politischen Auseinandersetzung Nach wie vor fehlen Antworten auf grundsätzliche Fragen: Was soll alles untersucht und mitgeteilt werden dürfen und zu welchem Zweck?

Das weitgehende Selbstbestimmungsrecht der Frau über das Austragen oder den Abbruch einer Schwangerschaft ist ein hohes Gut in unserer Gesellschaft und die individuellen Entscheidungen von Schwangeren respektieren wir. Damit einher geht jedoch der Auftrag, Rahmenbedingungen zu schaffen, die für die Schwangeren eine möglichst freie Entscheidung zulassen. Gegenwärtig müssen die Entscheidungen für oder gegen die Inanspruchnahme eines NIPT und für oder gegen eine invasive Abklärungsuntersuchung oder einen Abbruch nach einem auffälligen NIPT-Ergebnis nicht nur vor dem Hintergrund einer unzureichenden Beratungsgrundlage, sondern auch vor dem Hintergrund unserer Leistungsgesellschaft, die „Funktionieren“ und „Selbstverwirklichung“ predigt, getroffen werden. Die Entscheidung für ein Kind mit Behinderung ist vor allem deswegen so schwierig, weil unsere Gesellschaft die Sorge für ein behindertes Kind trotz aller Ansprüche an Inklusion immer noch nicht als gemeinsame Leistung begreift, sondern die Eltern vielfach allein kämpfen lässt. Diese Lebensrealität erzeugt viel Druck auf Schwangere und werdende Eltern bei der Entscheidungsfindung.

Klar ist, die Konsequenz aus der Kassenzulage des NIPT darf nicht individualisiert und zu einem Problem der Schwangeren, einer Frage nach guter oder schlechter Beratung gemacht werden. Die Konsequenz ist als ein gesellschaftliches Problem zu verstehen und als solches einer übergeordneten Lösung zuzuführen. Diese Auseinandersetzung muss jetzt stattfinden. Denn klar ist ebenfalls, die Kassenfinanzierung des NIPT auf Trisomien wird der Türöffner für weitere Anträge auf Kassenfinanzierung von Tests auf andere genetische Auffälligkeiten sein. Auch mit Blick darauf bedarf es dringend einer Grundlage für eine sachgerechte, ethisch verantwortliche und rechtssichere Anwendung von nicht-invasiven Pränataltests!