Unsere politische Arbeit für
Bremen & Bremerhaven

Rechte Gewalt und rechter Terror in Bremen und dem Umland?

Das Jahr 2020 zeigte deutlich die weiterhin große Problematik des rechten Terrorismus in Deutschland. Bei dem versuchten, auch rassistisch und antifeministisch motivierten, antisemitischen Massenmord von Halle, wurden Jana Lange und Kevin Schwarze ermordet. Dem Anschlag von Hanau fielen Ferhat Unvar, Said Nesar Hashemi, Vili Viorel Păun, Mercedes Kierpacz, Sedat Gürbüz, Kaloyan Velkov, Fatih Saraçoğlu, Gökhan Gültekin und Hamza Kurtović zum Opfer. Der Vater des Täters verbreitet bis heute rassistische Verschwörungsmythen.

Bereits die Untersuchungsausschüsse des Bundestages zum NSU-Komplex, die 2013 und 2017 ihre Berichte vorlegten, stellten fest, dass rassistischer Terror und rechte Gewalt in Deutschland systematisch verharmlost werden: Noch im Jahr 2004 schätzte der Verfassungsschutz (VS) das untergetauchte Trio des selbsternannten „Nationalsozialistische Untergrund“ (NSU) als „Bombenbastler“ ein, aber ging nicht davon aus, „dass sie diese Bomben auch zünden wollten“. Das war das Jahr, in dem der Nagelbombenanschlag in der Kölner Keupstraße viele Menschen schwer verletzte und traumatisierte. Der NSU ermordete zwischen 1998 und 2011 mit Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Mehmet Turgut, İsmail Yaşar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaşık, Halit Yozgat und Michèle Kiesewetter mindestens zehn Menschen, neun von ihnen aus rassistischen Motiven. Über dreizehn Jahre bewegte sich das NSU-Trio im Untergrund frei durch Deutschland, um Bombenanschläge und Morde zu begehen, unbehelligt von den Sicherheitsbehörden und den über 40 V-Personen in ihrem Umfeld, begleitet von rassistischer Berichterstattung und rassistischen Ermittlungen. Die NSU-Terroristin Beate Z. hielt sich auf ihrer Fahrt durch Deutschland nach dem 04.11.2011 auch in Bremen auf, was insbesondere angesichts der in Bremen ansässigen, bundesweit agierenden neonazistischen Akteure Verbindungen des NSU nach Bremen möglich erscheinen lässt.

An den vom VS publizierten Zahlen zur extrem rechten Szene kamen erhebliche Zweifel auf. Ein grundsätzliches Problem der Beobachtung der extrem rechten Szene durch den Verfassungsschutz ist eine teilweise Abhängigkeit von aktiven Neonazis und anderen Faschist*innen, die eigens für Informationen bezahlt werden (V-Personen), sowie die Intransparenz über die Art der Erkenntnisgewinnung und konkreter Erkenntnisse, auch aus Gründen des „Quellenschutzes“. Allzu häufig finden sich V-Personen im Zentrum öffentlich werdender Skandale, als Anführer*innen von Netzwerken und Terrorgruppen, als Scharfmacher*innen, die scheinbar von den Sicherheitsbehörden in Ruhe gelassen werden. Diese Art der Informationsbeschaffung kann Analysen zur Verbreitung extrem rechter Einstellungen und Ideologien nicht ersetzen, die Verbindungen zur als „Mitte“ propagierten liberaldemokratischen Bevölkerung untersuchen. Genau diese Verbindungen sind ein wichtiger Gegenstand wissenschaftlicher und zivilgesellschaftlicher Untersuchungen.

Der extrem rechte Terror in Deutschland gerät immer wieder in Vergessenheit und wird von jüngeren, so scheinbar unzusammenhängenden Anschlägen und Morden überlagert. Das gilt inzwischen für den NSU und das gilt in besonderer Weise für die Terroranschläge der 1970er-Jahre und die Anschläge im Jahr 1980, darunter der Bombenanschlag auf das Münchener Oktoberfest und der Doppelmord an Frida Poeschke und Shlomo Lewin. Seit der Selbstenttarnung des NSU-Trios wurden bundesweit immer mehr rechtsterroristische Netzwerke öffentlich, wie das Hannibal-Netzwerk oder der selbsternannte „NSU 2.0“, wie die Gruppe S., Revolution Chemnitz, oder die Gruppe Nordadler. In einigen dieser Netzwerke organisieren sich auch Polizeibeamt*innen, Geheimdienstler*innen und Armeeangehörige. Gleichzeitig kommen beispielsweise rechte Chatgruppe in den Sicherheitsbehörden, Enttarnungen rechtsterroristischer Vereinigung oder Anschlagspläne sogenannter „Prepper“ ans Tageslicht. Aus Beständen der Polizeien und der Bundeswehr verschwand eine Vielzahl an Munition und Waffen, teilweise für den Gebrauch in Kriegen gedacht. Ein Großteil davon ist in faschistischen Netzwerken wieder aufgetaucht oder wird dort vermutet. Bis heute bleibt ein großer Teil der entwendeten Waffen und Munition verschwunden, bei teilweise geringem Interesse der zuständigen Behörden über deren Verbleib. Im vergangenem Jahr 2020 wurden allein zwischen Mai und Dezember über 150 Fälle von Nationalismus, Rassismus und Neonazismus („Rechtsextremismus“) in Sicherheitsbehörden und Justiz bekannt, darunter ein Landesinnenminister, der bei einem Waffenhändler eines faschistischen Netzwerks eine Schusswaffe kaufte.

In Bremen und Umland wurden allein im Jahr 2020 mindestens fünf Brandanschläge verübt, mindestens drei davon gefährdeten akut Menschenleben. Weitere neun Tatkomplexe faschistischer und/oder rassistischer Angriffe oder Bedrohungen fallen in diesen Zeitraum, darunter mehrere tätliche Angriffe, eine Bombendrohung gegen eine Moschee und Drohungen sowohl gegen den Verein für gleiche Rechte e.V. in Bremerhaven als auch gegen mehrere Bürgerschaftsabgeordnete. Begleitet wurden diese Taten durch die Versendung von Pulverbriefen mit unter anderem faschistischen Inhalten an die Parteibüros diverser Parteien, durch Schmierereien faschistischer Symbole und letztendlich im November durch die Aufdeckung von Rechtsradikalismus in der Bremer Berufsfeuerwehr. Auch weitere nationalistische und faschistische Gruppen wie die „Grauen Wölfe“ sind in Bremen aktiv. Und im November 2020 marschierten polnische Faschist*innen durch die Bremer Innenstadt, angeführt durch ein ehemaliges Mitglied der AfD. Dieses Jahr begann mit dem Fund von Waffen und Nazidevotionalien im Rahmen einer Wohnungsdurchsuchung bei einem rechten „Intensivtäter“ in Vegesack. Wie der im Fall Walter Lübcke wegen Beihilfe zum Mord angeklagte Markus H. besitzen viele rechte Akteure und Täter*innen noch immer eine Waffenbesitzkarte, die sie zum Besitz einer Schusswaffe berechtigt. Besorgniserregend ist die fortlaufende Bewaffnung von extrem rechten Gruppierungen, sowie die Vernetzung und teilweise Überschneidung der extrem rechten Strukturen und Milieus mit der organisierten Kriminalität, wie sie auch für Bremen belegt ist. Wie im gesamten Bundesgebiet besitzen Akteure der extrem rechten Szene in Bremen Immobilien, die als Treffpunkte der organisierten Strukturen und des unorganisierten Milieus fungieren und von denen häufig eine Gefahr für Menschen in der Umgebung ausgehen kann.

Um die Kontinuität rechten Terrors in Deutschland zu brechen, müssen deshalb sowohl die Kontinuitäten als auch neuere Entwicklungen des rechtsterroristischen Milieus berücksichtigt werden. Von den Grundlagen des Wissens über rechte Gewalt, über die aktuelle Struktur und Dynamik des rechten Milieus und rechter Strukturen, über den Stand der etwaigen Verflechtung der Sicherheitsbehörden mit dem Tätermilieu über V-Personen, der Aufklärung jüngster rechtsterroristischer Taten, dem Verbleib von Munition bis hin zur Beschäftigung mit den alltäglich begangenen Taten rechter Gewalt und rechten Terrors wollen wir der parlamentarischen und zivilgesellschaftlichen antifaschistischen Arbeit in Bremen und Bremerhaven mit dieser Anfrage eine aktuelle Grundlage geben.

Die Anfrage schließt sich dem vom Senat im April 2019 vorgelegten Sechsten Bericht über Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit im Land Bremen (2013–2018) an, in dem die Aktivitäten von Verfassungsschutz, Staatsschutz, weiteren behördlichen Akteuren und allen zivilgesellschaftlichen Institutionen beschrieben wurden.