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Reiserecht ändern – Kund*innen besser schützen

Die Pleite des Reiseveranstalters Thomas Cook und verbundener Unternehmen stellt sich für die Reisenden, die ihre Reise bereits ganz oder teilweise bezahlt haben, für die Reisebüros und für Hotelunternehmen und nicht zuletzt für die Staatskasse wegen unterbliebener Steuerzahlungen als eine große Katastrophe dar. Weltweit bangen Hoteliers um Zahlungen. Der Schaden beläuft sich auf mehrere 100 Millionen Euro.

Urlauber*innen, die ihre Reise wegen der Insolvenz des Reiseveranstalters Thomas Cook nicht antreten konnten, können nicht mit einer vollen Erstattung ihrer Zahlungen rechnen. Und dies, obwohl ihnen mit den Reiseunterlagen gemäß gesetzlicher Vorschrift auch ein Dokument zur Verfügung gestellt worden ist, welches die Versicherung benennt, die im Falle einer Insolvenz des Reiseveranstalters die Kosten¬abdeckung übernimmt. Allerdings hat die zuständige Versicherung Zurich Deutschland die Reisen der deutschen Thomas Cook nur bis zu einer Gesamtsumme von 110 Millionen Euro pro Jahr versichert. Pressemitteilungen zufolge muss davon ausgegangen werden, dass damit längst nicht alle Ansprüche von Reisenden befriedigt werden können. Bereits Anfang November 2019 lagen 150.000 Meldungen mit einem Schadenvolumen von 250 Millionen Euro vor. Nach Mitteilung der Versicherung werden die gesamten Ersatzansprüche der versicherten Summe gegenübergestellt und anteilig beglichen. Es ist davon auszugehen, dass die Kund*innen nicht mit der vollen Summe, sondern nur anteilig entschädigt werden.

Die Begrenzung möglicher Ersatzleistungen wegen Insolvenz des Reiseveranstalters auf 110 Millionen Euro ergibt sich aus § 651r Absatz 3 Satz 3 BGB. Die hier festgelegte Begrenzung der Versicherungssumme zur Abdeckung von Insolvenzschäden auf 110 Millionen Euro ist seit 2001 Teil der reiserechtlichen Vorschriften im BGB und wurde bei der letzten Anpassung des Gesetzes durch Beschluss des Bundestages im Juni 2017 unverändert fortgeschrieben. Dabei hatte sich der Bundesrat in seiner Stellungnahme zum Gesetzentwurf explizit gegen die Begrenzung der Versicherungssumme zur Abdeckung von Insolvenzschäden auf 110 Millionen Euro ausgesprochen oder zumindest eine deutliche Erhöhung eingefordert, auch unter Bezug auf die seit 2001 stattgefundene Inflation. Die Bundesregierung hatte diesbezüglich jedoch die Auffassung vertreten, dass diese Summe nach menschlichem Ermessen weiterhin ausreichend sei, um vollständigen Versicherungsschutz zu bieten. Wie die Pleite von Thomas Cook zeigt, war diese Annahme falsch.

Daher ist es jetzt dringend notwendig, eine Anpassung vorzunehmen, um die Risiken der Reisenden künftig in jedem Fall in voller Höhe abzudecken. Auch der Bundesverband der Verbraucherzentralen fordert, dass „alle Pauschalreisende im Falle der Insolvenz eines großen Reiseanbieters ein zu 100 Prozent verlässliches Sicherheitsnetz haben.“

Da mit einer Erhöhung des Betrages auch die Versicherungsprämien steigen werden, muss damit gerechnet werden, dass auch die Reisepreise geringfügig steigen werden. Dieser Nachteil ist aber gegenüber dem Verlustrisiko, das den Reisenden – wie geschehen – droht, hinzunehmen. Das Risiko trifft vor allem Kund*innen, die finanziell nicht auf Rosen gebettet sind. Viele Urlaubende haben sich die Reise vom Einkommen abgespart. Mit einer Anpassung der Gesamt-Versicherungssumme könnte nicht nur Bürger*innen, die über ein geringeres Einkommen verfügen, sondern allen Kund*innen geholfen werden. Zudem könnte der Schaden von Mitarbeiter*innen sowie Hoteliers und somit der volkswirtschaftliche Gesamtschaden begrenzt werden.

Weitere ungedeckte Risiken im Reiserecht. Ein weiteres und bislang noch überhaupt nicht abgedecktes Risiko haben Reisende, die Reiseleistungen wie Flugreisen direkt bei dem jeweiligen Anbieter buchen und nicht als Teil einer Pauschalreise. Für diese Direktbuchungen ist im Reiserecht bislang kein Insolvenzschutz vorgesehen. Bei der Insolvenz der viertgrößten deutschen Fluggesellschaft Germania im Frühjahr 2019 waren etwa 600.000 Kund*innen betroffen, 2018 bei der Insolvenz der zweitgrößten deutschen Fluggesellschaft Air Berlin sogar rund 1 Millionen Kund*innen, insbesondere solche, die Tickets für Flüge gekauft und bezahlt hatten, welche aufgrund der Insolvenz nicht mehr durchgeführt wurden. Nach Einschätzung der Verbraucherzentrale Berlin können die Betroffenen am Ende des jahrelangen Insolvenzverfahrens bestenfalls mit minimalen Erstattungen rechnen. Vor diesem Hintergrund wird schon seit längerem die Forderung erhoben, auch für Luftfahrtunternehmen, die in Deutschland einen Flug antreten oder beenden, eine Insolvenz-Absicherungspflicht im Sinne des § 651r BGB einzuführen.

Schließlich ist bei der Änderung des Reiserechts 2017 zu Recht kritisiert worden, dass die umfangreichen rechtlichen Regelungen für Pauschalreisen bei Tagesreisen erst bei Preisen ab 500 Euro einsetzen (§ 651a Absatz 5 Satz 2 BGB). Zuvor galt hier eine Grenze von 75 Euro. Der allergrößte Teil der circa 50 Millionen Tagesreisen, die pro Jahr in Deutschland gebucht werden, liegen unterhalb dieser Preisgrenze und sind damit reiserechtlich nicht abgesichert. Interessant ist die Begründung des Rechtsausschusses des Bundestags, der diese drastische Erhöhung vorgeschlagen hat. In seiner Stellungnahme wird eingeräumt, „dass organisierte Tagesreisen überdurchschnittlich häufig von älteren Verbrauchern aus Ein-Personen-Haushalten gebucht werden, die grundsätzlich als besonders schutzbedürftig anzusehen sind.“ Die „deutliche Anhebung“ der Wertgrenze von 75 Euro auf 500 Euro wurde aber für notwendig erachtet, damit auch die „Interessen der Unternehmen“ hinreichend Berücksichtigung fänden. Die Anhebung verfolge explizit das Ziel, die Reiseveranstalter durch „Nichterfassung von Tagesreisen bis zu einem merklich höheren Preissegment als bisher jedenfalls teilweise zu entlasten“ [vgl. Bundestag Drs. 18/12600, S. 14). Die „Entlastung“ der Reiseveranstalter aber ausgerechnet auf dem Rücken von Rentner*innen durchzuführen, erscheint doch als sehr fragwürdig. Eine deutliche Absenkung dieser Grenze erscheint deshalb dringend geboten.

Die Bürgerschaft (Landtag) möge beschließen:

Die Bürgerschaft (Landtag) fordert den Senat auf, sich mit einer Bundesratsinitiative für eine Änderung des bestehenden Reiserechts mit den folgenden Zielen einzusetzen:

1.    Die Haftung der Insolvenzversicherung soll zukünftig nicht mehr auf 110 Millionen Euro gedeckelt, sondern dem tatsächlichen Geschäftsvolumen angepasst werden, um die Risiken der Reisenden künftig in voller Höhe abzudecken.
2.    Für direkt gebuchte Flüge von Luftfahrtunternehmen, die in Deutschland einen Flug antreten oder beenden, soll eine Insolvenz-Absicherungspflicht im Sinne des § 651r BGB eingeführt werden.
3.    Der Mindestpreis, ab dem Tagesreisen als „Pauschalreisen“ im Sinne des Reiserechts gelten, soll deutlich gesenkt werden, um der gebotenen Schutzfunktion gerade für ältere Reisende angemessen nachzukommen.